«The magic happens
outside of your comfort zone» Barbara Jäggi

Traum

Januar 17th, 2022

Es ist ein Traum, und dennoch keiner.
Träume sind tiefer liegende Wirklichkeitswelten, die uns von Zeit zu Zeit besuchen und uns daran erinnern, dass auch sie ein Teil unserer Wirklichkeit sind. Oder noch mehr.Schamanen sagen, dass ein grosser Traum uns innewohnt, der mehr ist als unser Alltagstraum.
Diesen Traum pirschen wir an in unserem Traumkreis. Immer wieder reisen wir an diese Schwelle zwischen Alltagstraum und Nachttraum mit der Absicht, dass diese beiden sonst eher getrennten Welten miteinander zu verschmelzen beginnen.

Mich erfasst närrische Weisheit. Heyoka ruft und will gelebt werden.Da wo alles für unser Verständnis verdreht erscheint, macht der Heyoka eine neue Ordnung.Mit Trompeten und Fanfaren ziehe ich mit meiner Gruppe an einen wüstenähnlichen Ort, abseits der Zivilisation. Inmitten dieser Einöde steht eine Burg, die vollkommen umwachsen ist von Efeu. Nur wer ein Narr im Herzen ist, erhält Einlass in diese Burg. Das ist der Schlüssel zum Eintritt. Wie von selbst öffnet sich das schwere Tor.
Darin herrscht ein Gewimmel an närrischen Wesen, die da jonglieren, Salti drehen, springen, lachen. Da ist auch ein Magier. Er öffnet seine Faust und aus seinen Fingern flackert Feuer. Staunend wie ein Kind frage ich ihn, wie er das vollbringt.
«Es gelingt, wenn du an deine Magie glaubst» sagt er.
Ich weiss nicht, welches meine Magie ist, doch ich ahne, dass ich sie in mir trage.
Dann geht mein Blick zu einem Akrobaten, der unmögliche Verdrehungen und Verrenkungen vollzieht. Ich frage ihn, wie er das schafft.
«Ich glaube nicht an die Grenzen der Anderen».
Oha.
Dann gehe ich zu einer vollbusigen Operndiva. Sie trällert in den höchsten Tönen, um mit ihrer Stimme mäandrierend in die Tiefen ihrer Seele zu stossen. Auch sie frage ich, wie sie das Wunderbare vollbringt.
« Ich kenne jeden noch so kleinen Raum in meinem Körper und lasse ihn vibrieren».
Das ist Kunst.
Dann ziehen wir eine Treppe hinauf zu einem Turmzimmer. Von da aus schauen wir aus dem Fenster auf die Welt hinunter. Ich kann alles sehen von hier aus.
Alles was die Erde bevölkert. Schlachten mit Soldaten, die sich bekämpfen und sich niedermetzeln.Die grauenvollsten Taten kann ich sehen, doch erstaunlicherweise entbehren sie jeglicher Bewertung. In mir ist alles gleich. Auch das Schöne. Mein Blick schweift selbst zu unseren politischen Oberhäuptern. Auch sie sind neutral in meinem Herzen. Nackt erscheinen sie.
Und ich höre mich sagen: «Der Kaiser trägt ja gar keine Kleider.»
Eine völlig neue Sichtweise erfasst mich, die allen Menschen gleich begegnen kann.
Den Schönen und den Grauenvollen. Sie ermöglichen mir, leicht zu werden. So als könnte ich über all dies hinwegtanzen und mich frei bewegen. Ich kann mit diesem unschuldigen und närrischen Blick überall hingehen. Die einst gesetzten Grenzen heben sich hier auf.Die Närrin sagt alles, was sie sieht, ohne ihm eine Wertung zu schenken. Das macht sie frei.

All das, was mich zuvor angesichts der Begrenzungen und Beschneidungen in grosse Befangenheit gebracht hat, löst sich hier an diesem Ort auf.Alte Vorstellungen erscheinen in einem neuen Licht. So entschwinden in meinem Traum die alten Geschichten von Kriegen und Missetaten. Alles ist miteinander verwoben. So ist es letztlich einzig meine innere Sichtweise, die etwas verändern kann.

Solche Erfahrungen bleiben nicht zurück; sie kommen mit mir in die Alltagswirklichkeit und schwingen wie ein unsichtbarer Zauberstab ins Leben hinein. Hier finde ich die Magie.In dieser Magie gibt es keine Spaltung mehr.

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Butoh

Januar 3rd, 2022

„Du hast die Nacht mir zum Leben verkündet- mich zum Menschen gemacht – zehre mit Geisterglut meinen Leib, dass ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt“
Novalis

Die alten Formen verlassen. Das Bekannte verlassen.
Aber was heisst das eigentlich? Ich höre mich immer wieder vom Neuland reden. Dem Neuen. Das klingt verheissungsvoll. Doch was bedeutet es ins seiner Tiefe auch für mich?

Es ist wie ein Butoh-Tanz. In totaler Langsamkeit tanze ich alles, was in mir ist. Immer vorbehaltloser. Immer bedingungsloser.Es braucht von mir meinen Mut und meine Hingabe. Meine Bereitschaft wirklich loszulassen. In der Zukunft wartet die innere Freiheit auf mich.Ich weiss, viele spirituelle Sichtweisen wollen ins Licht.Auch ich.Doch da ist ein tiefe Ahnung. Es geht zuerst zurück zum Schlamm, zum Chaos, zum Zulassen der Irritation und der Unsicherheit.

Ein Paradigmawechsel führt zuerst zum Zusammenbruch der bestehenden Strukturen und das macht Angst. Doch ob wir es wollen oder nicht: Vertrauen wachst in uns, wenn wir uns bedingungslos uns selber anvertrauen.
Diese Schatten in mir immer wieder bedingungslos annehmen. Und in diesem Annehmen überwindet sich langsam diese Dualität von Licht und Schatten.Denn alles ist in uns. Die Leiden der Flüchtlinge und ihre Heimatlosigkeit – und meine eigene, die Leiden der Täter und der Opfer. Der Herabgewürdigten, der Heraufbeschworenen. Die Ausgegrenzten und die Insider. Für mich geht der Weg dahin. So ruft mich die Dunkelheit, wenn alle ans Licht wollen. Längst habe ich erkannt, dass sie eine Quelle ist. Ich sehe viele Blicke sich zum Himmel wenden, betend und verzückt. Doch nicht nur im Hellen ist das Schöne. Wir tragen so viele Schatten in uns aus unseren Geschichten, wagen es nicht da hinzuschauen. Wir tragen auch das Kollektiv in uns. Und in unserem Körper. Selbst aus alten Zeiten jenseits unserer jetzigen Existenz. Auch dies offenbart seine Schönheit.Diese alten Geister ans Licht zu lassen und zu entlassen gehört zu meinem Tanz. Hier zeichnet er Bewegungen, die kreisförmig sich zum Himmel wenden, um in einer nächsten Bewegung einen Sinkflug zu vollziehen zur Erde. Bis zum Schlamm. Zum Urschlamm. Und mit diesem Tanz heben sich Licht und Dunkelheit langsam auf. Das mag jetzt vielleicht schön klingen. Aber das ist es nicht. Im Wesentlichen kommt da auch der Schmerz hoch, der schreit. Die alte Verletzung. Doch eben noch im Schmerz, erhebt sich der Tanz und es wird leicht. In diesem Tanz heben sich auch alte Bewertungen auf von richtig oder falsch. Im Urschlamm ist alles gleich. Es gibt kein Halten mehr, es gibt nur noch Bewegung.Und das Neuland kennen wir noch nicht, es ist noch nicht vertraut. Doch im Sich-Vertrautmachen des Unbekannten, entstehen Schritte, die letztlich eine Spur ziehen. Und irgendwann, kannst du die Spuren lesen.Ich bin eine Schülerin, die gerade lernt.Ich lerne jetzt den Butoh-Tanz.

Bild: Contre-Jour Photography, 2014

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