«The magic happens
outside of your comfort zone» Barbara Jäggi

Tempelschlaf der Isis

Dezember 31st, 2021

Der Tempelschlaf ist ein alter heiliger Ritus, der zurückgeht über die Orakelweisheit der Pythia in Griechenland und darüber hinaus zum ägyptischen Tempel der Isis. Auch wenn heute nur Fragmente davon vorhanden sind, so können wir uns mit den Quellen uralten Wissens verbinden. Alles alte Wissen ist da, wenn wir unser Bewusstsein dahin lenken. Die Reisen gehen nicht mehr nach aussen, wo wir tausende von Kilometern zurücklegen, um die Orte der heiligen Riten zu erfahren. Die Reise geht nach Innen.

Im Tempelschlaf bleiben wir bewusst eine Nacht lang an der Schwelle zwischen Wach- und Traumzustand. Dort an dieser Schwelle gelangen tiefere Seinsschichten an die Oberfläche, die uns mit Heilkraft berühren.So steige ich in den Tempel der Isis. Kurz davor noch berührt mich flüchtig die Angst. Wage ich es, mich ganz von den Anhaftungen aller Konzepte zu lösen, die mir bisher Struktur gaben, auch wenn sie noch so verrückt zu sein schienen? Doch dann verschlingt mich die Dunkelheit und ich befinde mich im Tempel der Dunkelheit.

Hier herrscht die totale Stille. Ein dunkles Ruhen ohne jegliche Bewegung. Jeder Moment dehnt sich zur Ewigkeit aus. Hier entkommt keine noch so kleine Bewegung aus Gedanken, Gefühlen oder Taten.Ich sehe nichts in dieser Dunkelheit, und dennoch sehe ich alles.

Die weisse Pythia, die Schlange aus dem Tempel der Orakelweisheit durchdringt mich und windet sich in meinem Körper nach oben. An diesem Ort ist keine Angst.So berührt mich auch die Göttin Isis. Sie ist mächtig und gross.Doch ihre Macht ist das reine Dasein, die ungeteilte Aufmerksamkeit zu allem.
Es ist die Kraft des Nichtwissens und dennoch ist sie allwissend.
Sie bewirkt oder manipuliert nichts. Sie greift nicht ein, wo es nicht bereit ist zum Handeln.
So verweile ich still ruhend in der Dunkelheit in diesem Zustand, wo ich einen Hauch an Ewigkeit erahne. Es ist der Tempel des Urweiblichen. Es ist, als gäbe es noch nichts auf der Welt. Keinen männlichen Samen, der etwas befruchtet. In diesen Tempel finden keine Männer. Oder nur die Furchtlosen und Sanften. Die meisten Männer fürchten diesen urweiblichen Ort. Hier entzieht sich die Kontrolle darüber. Es ist auch die uralte Verletzung der Frauen, die abgeschnitten wurden von der Weisheit ihres dunklen Schosses. Ich beginne zu verstehen, dass dies Angst macht. Denn die Weisheit aus dem dunklen Schoss kann nicht kontrolliert werden. Sie steigt auf aus dem Unbekannten, aus dem Nichtwissen. Und doch ist es Medizin. Weil sie nicht anhaftet an einem heilerischen Ego. Der Verstand ist hier nicht anwesend.

Auch die Gnawas in Marokko kennen diese urweibliche Kraft des dunklen Schosses. Es ist die Aisha. Männer wie Frauen fürchten sie. Dennoch hat die Aisha einen festen Platz in ihren Heilritualen. Damals vor etwa 10 Jahren, als ich an den Heil- und Tranceritualen bei den Gnawas teilgenommen habe, wurde mir die Kraft der Aisha ans Herz gelegt. Damals habe ich sie getanzt zu den ohrenbetäubenden Klängen der Quarqabas und der Gembri. Als ich im Taumel des Tanzes nach hinten fiel, wurde ich sanft aufgefangen von den RitualhüterInnen. Die wahre Kraft der Aisha beginne ich erst jetzt langsam zu begreifen.

Nach einer langen Nacht erhebe ich mich und verlasse den Tempel. Draussen ist es noch dunkel, doch zeigt sich sanft das erste Erscheinen des Lichts. Langsam warte ich, bis es hell wird. Hier ist kein Schatten.
Verstehen tue ich es nicht. Wir sind es so gewohnt, alles verstehen zu wollen. Doch damit wollen wir das Erfahrene bereits wieder festhalten. Das Neuland, das wir beschreiten ist noch entfernt vom Verstehen. Es heisst für mich, diese Energie des Neuen anzunehmen.
Schritt für Schritt. Dann vielleicht kann ich zurückschauen und die gemachten Spuren lesen, die entstanden sind.

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