«The magic happens
outside of your comfort zone» Barbara Jäggi

Butoh

Januar 3rd, 2022

„Du hast die Nacht mir zum Leben verkündet- mich zum Menschen gemacht – zehre mit Geisterglut meinen Leib, dass ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt“
Novalis

Die alten Formen verlassen. Das Bekannte verlassen.
Aber was heisst das eigentlich? Ich höre mich immer wieder vom Neuland reden. Dem Neuen. Das klingt verheissungsvoll. Doch was bedeutet es ins seiner Tiefe auch für mich?

Es ist wie ein Butoh-Tanz. In totaler Langsamkeit tanze ich alles, was in mir ist. Immer vorbehaltloser. Immer bedingungsloser.Es braucht von mir meinen Mut und meine Hingabe. Meine Bereitschaft wirklich loszulassen. In der Zukunft wartet die innere Freiheit auf mich.Ich weiss, viele spirituelle Sichtweisen wollen ins Licht.Auch ich.Doch da ist ein tiefe Ahnung. Es geht zuerst zurück zum Schlamm, zum Chaos, zum Zulassen der Irritation und der Unsicherheit.

Ein Paradigmawechsel führt zuerst zum Zusammenbruch der bestehenden Strukturen und das macht Angst. Doch ob wir es wollen oder nicht: Vertrauen wachst in uns, wenn wir uns bedingungslos uns selber anvertrauen.
Diese Schatten in mir immer wieder bedingungslos annehmen. Und in diesem Annehmen überwindet sich langsam diese Dualität von Licht und Schatten.Denn alles ist in uns. Die Leiden der Flüchtlinge und ihre Heimatlosigkeit – und meine eigene, die Leiden der Täter und der Opfer. Der Herabgewürdigten, der Heraufbeschworenen. Die Ausgegrenzten und die Insider. Für mich geht der Weg dahin. So ruft mich die Dunkelheit, wenn alle ans Licht wollen. Längst habe ich erkannt, dass sie eine Quelle ist. Ich sehe viele Blicke sich zum Himmel wenden, betend und verzückt. Doch nicht nur im Hellen ist das Schöne. Wir tragen so viele Schatten in uns aus unseren Geschichten, wagen es nicht da hinzuschauen. Wir tragen auch das Kollektiv in uns. Und in unserem Körper. Selbst aus alten Zeiten jenseits unserer jetzigen Existenz. Auch dies offenbart seine Schönheit.Diese alten Geister ans Licht zu lassen und zu entlassen gehört zu meinem Tanz. Hier zeichnet er Bewegungen, die kreisförmig sich zum Himmel wenden, um in einer nächsten Bewegung einen Sinkflug zu vollziehen zur Erde. Bis zum Schlamm. Zum Urschlamm. Und mit diesem Tanz heben sich Licht und Dunkelheit langsam auf. Das mag jetzt vielleicht schön klingen. Aber das ist es nicht. Im Wesentlichen kommt da auch der Schmerz hoch, der schreit. Die alte Verletzung. Doch eben noch im Schmerz, erhebt sich der Tanz und es wird leicht. In diesem Tanz heben sich auch alte Bewertungen auf von richtig oder falsch. Im Urschlamm ist alles gleich. Es gibt kein Halten mehr, es gibt nur noch Bewegung.Und das Neuland kennen wir noch nicht, es ist noch nicht vertraut. Doch im Sich-Vertrautmachen des Unbekannten, entstehen Schritte, die letztlich eine Spur ziehen. Und irgendwann, kannst du die Spuren lesen.Ich bin eine Schülerin, die gerade lernt.Ich lerne jetzt den Butoh-Tanz.

Bild: Contre-Jour Photography, 2014

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